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BUNDESTAGSWAHL

DIE UNLUST BEIM TV-DUELL

DEFINITIONEN

Immanenz: Enthaltensein, Innewohnen, Zugehörigkeit; im Pantheismus das Enthaltensein, Wirken Gottes in der Natur. Gegensatz: Transzendenz. (Wahrig 1968)

Pantheismus: philosophische Lehre, dass Gott und die Welt, die Natur eins seien, dass Gott überall in der Natur sei. [zu griech. pan = "alles, jedes", und theos = Gott] (Wahrig 1968)

immanent: enthalten in, innewohnend; (Philosophie) innerhalb der Grenzen der Erfahrung, Erkenntnis bleibend. Gegensatz: transzendent. [von lat. immanens =  "innewohnend, anhaftend"] (Wahrig 1968)

systemimmanent: So nennt man eine Eigenschaft, die aus den Regeln eines Systems geboren wird, ohne von diesem ausdrücklich gewollt zu sein. Oft werden negative Merkmale einer Herrschaftsstruktur als systemimmanent bezeichnet, um auf die Unreformierbarkeit des Gesamtsystems hinzuweisen. So schließt z. B. ein Staat mit theokratischer ("gottesherrschaftlicher") Verfassung die Möglichkeit einer säkularen (weltlich orientierten) Gesellschaft systemimmanent aus. Der Begriff der Systemimmanenz kann als pessimistische intellektuelle Sackgasse gewertet werden. (E.J.)

Zinsknechtschaft: In der sozialistischen Wirtschafts-lehre: Besondere historische Form der Ausbeutung durch Kreditgeber. Die Zinsknecht-schaft ist charakteristisch für die Sklavenhaltergesellschaft und die Feudalgesellschaft sowie für unterentwickelte kapitalistische Verhältnisse. Betroffen sind vorwiegend kleine Warenproduzenten wie Handwerker und Bauern. Zinsknechtschaft entsteht, wenn der Schuldner (Kreditnehmer) das vom Geldgeber (Kreditgeber) zu hohen Zinsen entliehene Geld am Fälligkeitstermin nicht zurückzahlen oder die Zinsen nicht regelmäßig entrichten konnte. In der Regel muss er dann neues Geld leihen und gerät so noch stärker in die Abhängigkeit. Heute spricht man von einer Schuldenfalle.(http://www.wirtschaftslexikon.co) Tatsache ist freilich, dass ganze Staaten in diese Falle hineingeraten und am Ende sozusagen der ganze Planet pleite ist. Globale Vampire saugen ihn aus.

 

 

 

Oder: Die Matriximmanenz der begrenzten Auswahl

1. September 2013: Im Grunde ist es ja eine amerikanische Marotte, kurz vor der Wahl so ein „TV-Duell“ der zwei großen Kandidaten zu veranstalten. Die Situation ist allzu sehr ritualisiert, die Kandidaten beginnen angespannt und enden mit einer Art aufgesetzten Zuversicht, und genau wie ich nicht Matriximmanenz sagen sollte, ohne das Risiko einzukalkulieren, dass meine etwaigen, wenn überhaupt vorhandenen Leser wegdösen, bin ich heute bei diesem Merkel-Steinbrück-„Duell“ schlicht und einfach wegen dieser Matriximmanenz einige Male eingenickt, obwohl ich doch so pflichtbewusst angefangen hatte, ihnen zuzuhören.

Herbert Marcuse (1898-1979), ein in Studentenkreisen der Mitt-60er bis Anfang der 70er Jahre sehr beliebter Soziologe, machte die sogenannte Systemimmanenz zum gängigen Begriff. Er wollte damit sagen, dass in einem bestehenden Gesellschaftssystem eigentlich nur Phänomene auftreten können, die in den Rahmen des Systems hineinpassen bzw. ihm innewohnen. Falls eine gesellschaftliche Erscheinung diesen Rahmen zu sprengen scheint, hätte entweder die Duldung dieser Erscheinung eine dem System dienliche Funktion („Funktion“ war damals auch so ein ekelhaftes Allerweltswort), oder aber die Erscheinung würde ziemlich bald ins System integriert, wie man zum Beispiel die freizügigen, originellen Merkmale der Hippie-Bewegung sehr bald mit allerlei Modeartikeln kommerzialisierte. So schreibt Rolf-Ulrich Kunze in Symbiosen, Rituale, Routinen. Technik als Identitätsbestandteil auf Seite 161: „Der unbeschränkte Konsumismus führt nicht in die totale Selbstbestimmung, sondern in neue Zwänge und Pfadabhängigkeiten. Deren zeitgenössische Kritik durch Herbert Marcuse ..., vor allem in seiner Schrift Der eindimensionale Mensch aus dem Jahr 1967, hat an Aktualität seither eher gewonnen als verloren. Der Philosoph und Stichwortgeber der ‚68er‘ brandmarkte in den 1960er Jahren die technologiegestützte Systemimmanenz des konsumabhängigen Lifestyles in der Sprache bürgerrechtlicher Anklage als tendenziell totalitär: ‚Das totalitäre Ganze technologischer Rationalität ist die letzte Umbildung der Idee der Vernunft.‘“ – Sprachlich ist diese Form der Kritik auf jeden Fall hoffnungslos überladen.

Ja, ja, man sieht, dass die menschliche Intelligenz sich im Gedankendschungel zu kringeln und sich in ihren eigenen spiegelfechterischen Angebereien zu verfangen beginnt, bis sie schmerzhaft auf die Nase fällt. Aus ungeduldig revolutionärer Sicht kann diese Denkweise eine Art fickerige Schizophrenie hervorrufen, weil man bald das Gefühl bekommt, es gäbe überhaupt nichts, womit man aus dem „System“ ausbrechen könne. Das ist ein sehr spaßfeindlicher Gedanke und spricht im Übrigen dem Geist jede Wahlfreiheit ab. Folglich begannen viele Leute Drogen zu nehmen, ein trauriger und meist schädlicher, oft gar tödlicher Ausbruchsversuch aus einer hoffnungslos „systemimmanenten“ Welt. Auch Sekten-Traumwelten boten sich als Fluchtweg aus dieser trostlosen materialistischen Systemimmanenz an, führten aber oft unversehens in eine weitaus konkretere, krassere Version von echter mentaler Gefangenschaft. Wahr ist freilich, dass die scheinbare Allgegenwart eines Systems jederzeit sowohl durch spielerische Unbefangenheit als auch durch spirituelle Selbstvergeistigung durchbrochen werden kann. Niemand muss sich kontinuierlich vom bösen, bösen System ins Milchkännchen kacken lassen. Aber die faschistische Anfälligkeit selbst wunderbarster Seelenkameraden erfordert ständige Wachsamkeit.

Heute wird das Gefühl der alles durchdringenden Macht eines schwer durchschaubaren, nahezu unüberwindlichen herrschenden Systems durch den Begriff der Matrix zum Ausdruck gebracht, daher meine Anspielung auf Matriximmanenz. Man kann nicht erkennen, dass irgendeiner der angebotenen Politiker es schafft, effektiv die Schablone zu durchbrechen, den Schleier zu lüften und den oft versprochenen Klartext zu reden. Das geht ja auch kaum, nicht wenn hier jemand ernsthaft an die Macht will. Wir sehen die schöne Sahra Wagenknecht in rechtschaffenem Zorn erglühen, wenn ein abgebrühter Realpolitiker die gigantische Rolle Deutschlands als Rüstungsexporteur verteidigt. Aber sie kommt eben doch nicht dagegen an, obwohl sie als Idealistin vollkommen recht hat. In der Praxis siegen auf diesem Sklavenplaneten die Rüstungsproduzenten im Einvernehmen mit den angeblich herrschenden Politikern. Da geben die realen Machtverhältnisse und die wirtschaftlichen Druckmittel den Ton an. Keiner der Journalisten fragt das Merkel-Steinbrück-Duo nach solchen Sachverhalten, oder war ich da gerade eingenickt?

Natürlich sind auch Sahra & Co. nicht wirklich wählbar, denn über die Provokation hinaus können sie keinen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma anbieten. Falsch ist an allen gegenwärtigen politischen Systemen die Belohnung von Nichtproduktion und die Bestrafung von Produktion. Mit anderen Worten die Abzocke durch Banken und Spekulanten genauso wie die Abzocke durch sozialistisches Absahnen, Mega-Besteuerung und Umverteilen ohne Einforderung einer Gegenleistung. Kurz gesagt die Zinsknechtschaft jeder Couleur, egal ob von „links“ oder von „rechts“, aber auch die Situation der Unterbezahlung ehrlich arbeitender Menschen in verschiedenen Formen von Zeitarbeit, ausufernden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen usw. Jedoch würden die Lösungsvorschläge der Linken, 10 Euro Mindestlohn und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (oh, wie schön klingt das nach den Prinzipien einer grundgütigen Mutter- und Liebesgöttin), die Zinsknechtschaft verschärfen, unter der die Völker und die Staaten stöhnen, denn von wem würde die grundgütige Sahra in ihrer bedingungslosen Liebe den ganzen Zaster hernehmen? Zuerst könnte man die Reichen kleinkriegen, aber das hält nicht lange vor; dann müsste man weitere hunderte Milliarden fürs Sozialsystem borgen, und die Bankiers geben das schamlos in den Computer getippte Geld gerne her und verlangen dafür ewige Knechtschaft, bis jeder zweite Steuertaler in den Rachen der Zins-Eintreiber geworfen werden muss und die Inflation unaufhaltsam davongaloppiert. Die Absahner in den Reihen bankrott gehender EU-Mitgliedsländer sind auch nichts anderes als Absahner und somit Verschlimmerer der allgemeinen Zinsknechtschaft, ganz egal ob wir Deutschen uns immer noch schuldig oder moralisch verpflichtet fühlen müssen. So darf natürlich im Fernsehen niemand daherreden, denn das widerspräche dem Kodex, der den Medien von finanzkräftigen Machthabern im In- und Ausland aufdiktiert wird. Ich empfehle auch keinen Faschismus, denn wie wir schon gemerkt haben dürften, ist Hitler nicht die Antwort. Aber Ehre und Anstand wären ganz schön, und normale Tugenden wie Arbeiten, Sparen und Häuslebauen.

Trotz dieser pessimistischen Überlegungen möchte ich ganz pragmatisch empfehlen, sich die nebenstehende Steinbrück-Rede vom 19.8. vor der Karl-Schiller-Stiftung anzuhören, in der sich der Mann sehr intelligent aus dem Fenster lehnt und einige vernünftige Erkenntnisse und Ansätze entwickelt, mehr als in den läppischen Diskussionen mit ihren unfruchtbaren Sanduhr-Beschränkungen je herausgeholt wird. Innerhalb dessen, was er darf, zeigt er hier zumindest mit Bravour, was er kann. Möge er auch künftig mit zickigen Ecken und Kanten gegen die Systemimmanenz verstoßen!

 

Eckehard Junge, 1. September 2013

   

 

 

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