Die nachfolgende Kunstprosa über „den, dessen Name nicht fallen darf“, ist nicht als Gotteslästerung gedacht, denn über Gott und den Gottesbegriff dürfen wir ja in den meisten Ländern und Religionen frei sprechen. Hier geht es vielmehr um eine Götzenlästerung, anwendbar auf verschiedene Herrschaftsformen, in denen die Redefreiheit empfindlich eingeschränkt ist. Man bemerkt vor allem, dass der Herrscher einen unheilvollen Kultstatus genießt und höchstens noch flüsternd und ehrfürchtig, aber niemals laut, deutlich und kritisch erwähnt werden darf.

Der, dessen Name nicht fallen darf

Hütet euch vor dem nachtschwarzen Lenker,
den niemand beim Namen zu nennen wagt,
denn er, dessen Name nicht fallen darf,
nicht ohne subtile und fiese Bedrohung,
geahnte Gefahr für das Leibesheil
oder das kostbare Heil der Seele,
er, dessen heilige, himmlische Größe
jeden Zweifel grundsätzlich verbietet,
alles kritische Denken im Keim erstickt,
dieser listig Unnennbare hüllt euch in Nebel,
lässt euch niederknien in stummer Ehrfurcht,
verkauft euch angeblich die Ewigkeit,
die doch sowieso euer Eigen ist,
und die ihm nicht als Ware gehört,
die gerade er nun verkaufen könnte ...

Dieser kaum noch erwähnbare Satan,
der Unbelangbare, Unabsetzbare,
der euch beglotzt mit surrenden Augen,
verkauft euch eine lädierte Zukunft,
die ihr nach dem jetzigen Stand der Dinge
euch selbst viel besser erschaffen könntet;
systematisch verschlechtert er euer Gewissen
mit hochfrisierter Gedankenpolizei,
mit lachhaften Schniedelproblemen
und tödlichen Attacken auf eure Fruchtbarkeit,
und lässt euch endlos dafür beichten
und Schwindel erregenden Ablass zahlen,
erbaut euch leere Paläste und bringt euch Kummer,
liefert nicht das, was versprochen war,
hat keine Ahnung von dem, was ersehnt war,

 

zerstört das innige Band der Familie,
lässt Kinder und Eltern einander verpfeifen,
missbraucht eure Spenden und schlaflosen Nächte,
heißt euch demütig schuften bis ins Grab,

errichtet Barrieren im Fluss der Gedanken,
entzieht sich der sachlichen Kraft der Debatte,
verschwendet die Früchte eurer Arbeit,
tritt rüpelhaft euer Lebenswerk mit den Füßen,
zieht euch den letzten geborgten Groschen
aus euren mit Bärenringen durchbohrten Nasen
und macht sich lachend davon,
nachdem er die besten Helfer verprügelt
und Gründungsväter und Gründungsmütter
nebst Töchtern und Söhnen und Kindeskindern
hinausgeekelt, entmachtet, verleumdet,
mit Maulkörben grimmig zum Schweigen gebracht
und für den Rest ihres Lebens entehrt hat.

Macht, was ihr wollt, aber fangt an zu sehen,
fangt an zu lesen und selber zu denken,
beginnt zu reden und pflegt den lebhaften Austausch,
denn sonst kommt wirklich die finstere Zeit
und das finstere Reich der totalen Kontrolle
des Denkens und Handelns, des Wollens und Fühlens,
das krasse Gegenteil eurer Ziele,
die Fesselung eurer Macht,
die Vernichtung des Humors,
die Zerstörung der Liebe,
das Ende des Wissens,
der feuchte Traum des Großen Diktators
und weltweit keinerlei Aussicht auf Rettung
aus Zwangsjacken tückisch missbrauchter
Technologie.

Eckehard Junge

19. September 2012

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