Phantastische Heimatseite

 

Der Aufstand der Krokodile

 

Der Generalstab der Vereinigten Streitkräfte von Petromanien traf sich im silbernen Glanz der Abendsonne des Fünften Systems, heimlich am Rande der Großen Pestwüste, unter der schmucklosen, nahezu unsichtbaren Kuppel des Adlerhorstes jenseits der Kaiserlichen Raketensilos. Sämtliche Krokodilsgesichter, säbelartig vorgestreckt über den eng geschnürten blauen Halstüchern und den funkelnden purpurnen Uniformen, wandten sich wie auf ein Kommando dem eintretenden Obersten Feldmarschall entgegen.

Der klopfte nur dreimal knapp mit seinem elektrisch geladenen Marschallstab auf die Tischoberfläche und setzte sich dann ächzend auf den frei gebliebenen Stuhl unter dem schrillen, tonnenschweren Wappen des Kaisers von Petromanien. Eine furchtbare Stille trat ein; man hörte kaum noch die Atemluft zwischen den gelblichen Reißzähnen der Generäle durchpfeifen.

„Meine heiß geliebten Haudegen“, schnarrte er los, „wir haben uns heute zusammengefunden, um die Macht, die Kraft und die Herrlichkeit unseres Reiches in alle Ewigkeit zu zementieren und im Geheimen die großen und weisen Maßnahmen zu treffen, die allein geeignet sind, um dem Großen und Herrlichen Kaiser der Petromanischen Union die weltweite Vorherrschaft für das 79. Jahrtausend zu sichern. Die Befehle, die wir erlassen müssen, um dieses wundervolle neue Jahrtausend im Zeichen des Großen und Herrlichen Kaisers zu einem niemals endenden Siegeszug für die Schrottproduzenten, Dreckschleudern und Giftfabriken von Petromanien zu machen, sind hohe und heilige Pflicht und deshalb, wie jeder verstehen wird, strengstens geheim. Sie sind derart geheim, dass nicht einmal Seine Lichtvolle Majestät der Kaiser darüber informiert ist, oder zumindest wird nie und nimmer ein einziges Pergament existieren, das seine Mitwisserschaft belegt. Darum, meine heiß geliebten Haudegen, ist absolutes Schweigen geboten, und blinder Gehorsam bis in den Tod.“

Die Augen der Generäle kullerten gierig. Einige Geifertropfen klatschten schwer auf die Tischoberfläche. Gespannt und niederträchtig lauerten sie auf das nächste Stichwort.

„Und was sagen wir dazu?“ fragte der Oberste Feldmarschall.

„Alle Macht dem Krokodil!“ schrien die Generäle wie aus einem Maul.

„Das Millenniumsprojekt der Kaiserlichen Denkfabrik“, fuhr der Vorsitzende befriedigt fort, „hat eine geheime Schriftrolle für den Großen Plan fabriziert, die Ihnen allen bekannt ist und die Sie unter Androhung der Todesstrafe für jedes Anzeichen von Dösigkeit heute nachmittag lesen mussten.“ Die Generäle zuckten dienstfertig mit den Ohrmuscheln und rissen die Augen auf.

„Wie Sie alle wissen, ist die einzige verbliebene Supermacht dieses Welt-Eis, die Große und Heilige Petromanische Union, allerlei Stänkereien und streberischen Seitenhieben ausgesetzt, die nicht nur aus dem Reich der kribbligen, fanatischen, schnellgebärenden, vorsintflutlichen Echsenmassen stammen, sondern neuerdings sogar aus den Zeitungen unseres früheren treuen Verbündeten, der aufstrebenden Iguana-Union jenseits des Großen Tümpels.“

„Frechheit!“ schrie ein vorwitziger kleiner Generaloberst nahe dem anderen Ende des Tisches. Für einige lange Augenblicke schien es, als würde der Oberste Feldmarschall den tödlichen Blitz seines Marschallstabes auf den zähneklappernden Zwischenrufer richten, aber zu dessen Rettung beeilten sich die anderen, ebenfalls ihrem Unmut über die weltweite Konkurrenz Luft zu machen. Heftige Flüche wie „Zuschnappen und auskacken!“, „Allmächtiger Reißwolf!“, „Leberriss für Leguane!“ und „Gründlich zerfleischte Eierdiebe!“ gurgelten zwischen den scharf geschliffenen Zahnreihen hervor.

„Aber keine Sorge!“ fuhr der Chef der Vereinigten Stabschefs beruhigend fort, „denn wir haben ja bereits einen Plan. Sämtliche Kopien sind natürlich vernichtet worden, als Sie den Studiensaal verließen. Aber Sie werden es genießen, ihn auszuführen, denn er entspricht der Niedertracht Ihrer Herzen, und nur dieser kostbaren, gnadenlosen Niedertracht im Dienste Seiner Grundgütigen Majestät des Kaisers haben Sie Ihre Position, Ihr hohes Gehalt und Ihr ansonsten wertloses Leben zu verdanken. Wenn ich mal daran erinnern darf.“

Die Zuhörer nickten gehorsamst.

Der Chef lehnte sich zurück, holte durch schrill pfeifende Nüstern tief Atem und fuhr fort: „Wie wir alle wissen, gibt es mehrere Zentren des Widerstands, die uns schon lange ein Dorn im Auge sind. Der Rebellenführer Hatschi Aleph Rammrosa, den unser Geheimdienst seinerzeit selbst in der hohen Kunst der Sabotagetechnik ausgebildet hat, um in Kratznixtan den unerschrockenen Kampf gegen die Räterepublik der Tiefkühl-Alligatoren voranzutreiben, hat sich gegen unseren Hochgelobten Kaiser gewandt und versucht den ganzen versandeten Echsenhaufen gegen uns aufzubringen. Außerdem erfrecht sich ein wildgewordener Kohortenführer des Doppelflusslandes Schnabelhorn, dem wir einst auf den Thron geholfen haben, uns trotzig und voller Undank die Stirn zu bieten und kleinere Nachbarn zu vernaschen, wenn wir nicht dazwischenfahren. Und was am wichtigsten ist: Dieses unbotmäßige Echsenpack sitzt auf den größten Vorräten an Stinksoße, die unser geschundenes Welt-Ei überhaupt zu bieten hat. Ihr wisst, was das heißt: Ohne Stinksoße kein veraltetes System der Kraft- und Giftversorgung, ohne antiquierte Kraft- und Giftversorgung keine Verknappungshysterie, ohne Verknappungshysterie keine Weltdominanz. Wir müssen also unbedingt zuschnappen!“

Der Oberste Feldmarschall kratzte mit der mittleren Klaue am Tischrand. Auf dieses wohlbekannte Zeichen hin riefen alle Krokodile im Chor: „Ratsch! Ratsch! Ratsch!“

„Wir können aber nicht einfach losschlagen, denn viele unserer verweichlichten Mitkrokodile haben eine perverse Angst vor den wollüstigen Exzessen des Blutvergießens und halten sich wohl für was Besseres, besonders in den reichsfeindlichen Börsenhöhlen an der Ostküste; diesen chronischen Eierdieben sollten wir einen stinkenden Denkzettel verpassen, der sie zu gefügigen Marionetten, ja sogar zu Sprachrohren einer saftigen militaristischen Strategie machen wird. Wir zerreißen also zwei Kühe in einer einzigen Kneifzange, meine Herren, wenn dort an der Ostküste gehörig der Faulschlamm zum Himmel fliegt. Diesen überheblichen, intellektualisierten Pseudo-Krokodilen in unserem völlig entarteten Handelszentrum muss so der Schreck in die Glieder fahren, dass sie zu allen reißgeilen, segensreich-primitiven Beschlüssen unserer Lichtvollen Majestät des Kaisers Ja und Amen sagen werden!“

„Riecht, riecht!“ murmelten die versammelten Generäle beifällig. Einigen kullerten dicke Lusttropfen aus den Nüstern.

„Petromanien, erwache!“ rief der Feldmarschall. „Allein darauf kommt es an. Und unbegrenzter Zugang zur Stinksoße, versteht sich. Das erste und schönste Angriffsziel dürfte also klar sein – die moderne Version des Turmbaus zu Schnabelhorn, das weltberühmte Wahrzeichen der Überheblichkeit, der Doppeldom von Appelmaks: der wird mit einem ungeheuren Krachen einstürzen müssen, und mit diesem glühenden Fanal werden wir ein Zeichen setzen zum Aufbruch ins neue petromanische Jahrtausend. Denn sofort werden wir über sämtliche Volksempfänger, Bildröhren und Rohrpostleitungen verkünden, dass wir die hässlichen Sabotage-Echsen blitzschnell identifiziert haben, weil wir sie ja schon längst überwachen, und dass alle Beweise vorliegen, um die patriotisch aufheulende Nation in einen gnadenlosen Eroberungskrieg gegen Kratznixtan und Schnabelhorn zu führen. Den großen Sündenbock, den wir jedoch davonlaufen lassen, macht dienstfertig unser gut geschulter Erzfeind, der Echsenführer Hatschi Aleph Rammrosa. Weil wir ihn nicht zu fassen kriegen, wird alle Welt einverstanden sein, dass wir als nächstes den Kohortenführer von Schnabelhorn aufs Korn nehmen. Das erfordert den Einsatz einer gewaltigen Militärmaschinerie, worüber wir natürlich alle kreuzglücklich sind. Röchel, röchel, röchel.“

„Röchel, röchel“, pflichteten die Generäle ihm bei.

„Und was noch?“ fragte der Feldmarschall grinsend.

„Fröhlichen Kollateralschaden!“ schrien die Kommisskopp-Krokodile im Chor.

„Genau. Und nun zu einigen wichtigen Details des Einsatzes. Wir werden also ein paar Flugzeuge, allem Anschein nach Verkehrsflugzeuge, in den Doppeldom von Appelmaks hineindonnern lassen. Nach Auskunft unserer Experten wird der Großbrand jedoch nicht ausreichen, um die Kuppeln wirklich einstürzen zu lassen. Deshalb werden ein oder zwei Wochen vorher die genau berechneten Sprengladungen platziert, die kurz nach dem Aufprall der Flugzeuge gezündet werden, und dann sinkt die ganze Herrlichkeit mit großem Getöse in sich zusammen. Der weltweite Schock, der symbolische Effekt und das allgemeine weinerliche Mitgefühl wegen des großen Verlustes für Petromanien wird es uns ermöglichen, die gewünschten Kriege mit aller Macht durchzuziehen.“

Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe schlug dreimal vorsichtig mit der Klaue auf den Stahltisch und ergriff, nachdem der Chef genickt hatte, mutig das Wort: „Welche Rolle spielt dabei die Luftwaffe? Sollen meine treuen Krokodile den Angriff fliegen? Oder halten wir uns bloß zurück?“

„Die Luftwaffe“, entgegnete der Feldmarschall, „wird an diesem Tag mit drei großen Übungsmanövern vollauf beschäftigt sein. Ich sage Ihnen, was Sie machen, mein Lieber: Sie werden in den drei Großregionen Petromaniens ein Manöver veranstalten, bei dem Ihre Piloten in der Abwehr terroristischer Luftangriffe geschult werden. Wenn dann die ersten Nachrichten von der großen nationalen Katastrophe eintreffen, wird die gesamte Luftwaffe völlig kopflos in der Gegend umherbrausen und die echten Angriffe nicht von den fingierten Übungsangriffen unterscheiden können. Damit sind Sie aus dem Schneider. Für den konkreten Ablauf der Angriffe sorgen wir, das heißt die Sonderkommandos der Obersten Heeresleitung unter meinem persönlichen Befehl, egal ob wir bis dahin echte terroristische Selbstmordkandidaten zur Ausführung des Angriffs verleiten können oder ob wir es selber machen.“

„Und was“, fragte vorlaut der zweite Adjutant des Luftwaffenchefs, „wird unser geliebter Kaiser zu diesem Zeitpunkt tun?“

„Seine Geistvolle Majestät der Kaiser wird zu diesem Zeitpunkt in einer Schulklasse sitzen und den Kinderchen eine liebevoll ausgewählte, blutrünstige Geschichte von drei unglücklichen Zicklein vorlesen, die sich in den Dixie-Sümpfen verirrt haben.“

„Hoffentlich hält er diesmal das Buch richtig herum“, murmelte der Adjutant. Zack! Der Blitz des Obersten Feldmarschalls traf ihn augenblicklich und ließ ihn als ein Häufchen Asche auf dem Stuhl zusammensinken.

„Alle Unverschämtheiten und Nörgeleien bezüglich des Großen Majestätischen Führers werden von jetzt an als terroristische Volksverhetzung standrechtlich mit dem Tode bestraft!“ dekretierte der Oberste Feldmarschall. Tiefes Schweigen senkte sich über die Gruppe.

„Wir werden zur gleichen Zeit einen wahnwitzigen Angriff gegen unser eigenes Kriegsministerium vom Stapel lassen“, fuhr der großkotzige Chef in seiner purpurgoldenen Uniform fort. „Das Ding ist leider flach wie ein Pfannekuchen. Wir werden daher einfach einen Großtorpedo der Saurierklasse hineindonnern und den unbedarften Reptilien hinterher weismachen, es sei ein weiteres Flugzeug gewesen. Das Einschlagloch werden wir bei Bedarf ein bisschen vergrößern. Alle Überwachungskameras aus der Gegend um das Ministerium werden beschlagnahmt. Auf diese Weise impfen wir dem zögerlichen Teil unserer Streitkräfte einen gesunden Hass gegen die niederträchtigen Echsen ein. Dann wird die ganze schöne Kriegsmaschine in Gang gesetzt, und wir sichern uns weltweite Dominanz fürs kommende Jahrtausend. Hurra!“

„Hurra! Hurra! Hurra!“ schrien die Generäle. „Heil Petromanien!“

Auf ein Zeichen des großen Befehlshabers erhoben sie sich und schlichen in die eisige Nachtluft hinaus, stiegen in die Luxusgleiter und flogen zu ihren giftgrünen Weibern zurück.

 

– Eckehard Junge, 22. Januar 2006

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