Die Bruderschaft des widerwärtigen Beigeschmacks

 

Ein unheimliches Fragment

 

[Aus einer vom Verfassungsschutz nicht beobachteten Mülltonne]                      >> English version

 

 

 

„Aus den Tiefen der Vergangenheit steigen gelegentlich Bilder herauf, um in der Gegenwart eine Entwicklung auszulösen, die uns in eine unvermutete Zukunft weist. Mancherlei mächtige Dynastie benutzt dieses Phänomen sehr zielstrebig, um sich kraft uralter Symbolik auf Jahrtausende die Vorherrschaft zu sichern. So auch das zähe Geschlecht der Falkenfänger, die ursprünglich Felsenstürzer hießen; doch der Name Felsenstürzer war im Laufe der Generationen zum Schimpfwort verkommen. Nun breiten sie als Falkenfänger ihr Netz über die Erde; in Vollmondnächten sieht man ihre fliegenden Untertassen aus der alten Stammburg hervorschweben, anfangs begleitet von einem Schwarm aufgescheuchter Fledermäuse – und plötzlich schießen die schillernden Gefährte gen Süden, zu abgelegenen Adlerhorsten im Hochgebirge. Dort treffen sie sich mit den Mitgliedern einer verhängnisvollen Bruderschaft. Es ist die Bruderschaft des widerwärtigen Beigeschmacks, und die Falkenfänger gelten als Drahtzieher über den Drahtziehern.

Man sagt, dass niemand hineinstolpert, der nicht von Natur aus dazugehört. Also muss ich wohl dazugehören, denn ich stolperte buchstäblich hinein. An meinem 42. Geburtstag, zum Auftakt meines siebenten Jahrsiebents, stöberte ich in römischen Ruinen herum und fiel durch ein gut getarntes Loch in die Katakomben. Dort traf ich auf die Bruderschaft, und wer auf sie trifft, gehört dazu. Das fordert die innere Logik der Bruderschaft.

Wir sind es, die das Kotzgefühl hervorrufen, das allen Dingen beigemengt ist. Wir sind überall. Wir sind im Trinkwasser, wir sind in der Atemluft, wir sind im Essen. Wir sind nicht drin, aber wir haben die Finger drin. In diesem Sinne sind wir überall drin. Wir kontrollieren oder verhunzen die Zutaten. Wir sind in Film, Funk und Fernsehen. Wir sind in der Zeitung. Wir stehen hinter Tausenden von Phänomenen, über die Sie sich schon gewundert haben. Wir sind zum Kotzen. Wir versauen die Rechtschreibung, wir trampeln auf den Traditionen herum, wir schaffen den Sonntag ab und verfolgen Sie mit piepsenden und strahlenden Geräten bis aufs Klo. Wir unterbrechen Ihren Liebesakt. Wir sind die Schweinswesen, die an Ihren Mauern hochkraxeln und sich durch Äther und Drähte in Ihre Bildschirme schleichen. Wir geben uns komische Namen: Institut für Amerikanische Lebenslust, Projekt für ein Kolossales Neues Jahrhundert, Rapunzelküche der Obdachlosen, Glänzender Großmeister-Gral der Griechischen Gauleiterzone, Kakophonisches Symposion für Auswärtige Politik, Schlenkermeyer-Stiftung für Barmherzige Medizin, Leuchtende Laternenanzünder des Hochpotenzierten Grades, Gemäldehügel-Konferenz der Globalen Schutzstaffel, Kotzbrocken-Kaiserschmarren für Angewandte Psychiatrie. Wir sind völlig irre. Wir bringen Sie zum Reihern. Alles klar?

Allein auf die technische Machbarkeit kommt es an. Wenn es machbar ist, dann machen wir es: Denn wir sind die Macher, oder wir bilden es uns zumindest erfolgreich ein. Wenn uns der Sinn danach stünde und es technisch machbar wäre, dann würden wir uns nicht einmal entblöden, die Milben in Ihren Bettlaken zu manipulieren.

Wir finanzieren und bewaffnen stets beide Seiten des Konflikts. Wir diffamieren und loben stets beide Kontrahenten. Wir heben empor und schmettern nieder, wir montieren und demontieren, wir widersprechen uns mit unbegreiflicher Hingabe selbst und wir sorgen für so viel Verwirrung, dass niemand mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Wir setzen Ihre Kinder unter Drogen. Wir suggerieren Ihnen in jahrzehntelanger Kleinarbeit die baldige Ankunft eines absurden Überkönigs. Wir bauen Sendeanlagen am Polarkreis, deren Zweck niemand begreift. Wir durchleuchten und befragen und erfassen und zerfleddern Ihre werte Meinung. Wir beschnüffeln und bespeicheln Ihre Briefe; wir kopieren Ihre E-Mails und Telefonate und sammeln sie ungefragt in Vorratsdatenspeichern. Wir parfümieren Ihnen die Nase mit synthetischem Zuckerwasser, damit Sie uns nicht riechen können. Wir genießen die Tatsache, dass Sie uns nicht riechen können. Wir stänkern Ihnen dennoch bis ins Gehirn.

Wir sammeln Pornos und sorgen dafür, dass Sie immer genug davon haben, bis Ihnen vor lauter Übersättigung und Übersäuerung die Spucke wegbleibt. Wir kürzen Ihnen das Kindergeld. Wir entwickeln neue Viren. Wir verbreiten schmutzige Spritzen. Wir sorgen für die jahrzehntelange allmähliche Verrohung und Verekelung Ihrer Medieninhalte. Wir lassen für Sie die Puppen tanzen, und unmerklich langsam steigern wir Gewalt und Obszönität. Wir machen Sie abhängig. Wir machen Sie süchtig. Wir stumpfen Sie ab, sodass Sie den Kitzel steigern müssen, und wenn dann Ihr Samenstrahl kein lustiger Springbrunnen, sondern nur noch ein gequältes Rinnsal ist, dann werden auch Ihre Ideale kein mächtiger Flügelschlag, sondern nur noch ein morschiges Knarren sein, und trotz all Ihrer Lebenserfahrung sind Sie dann wundervoll manipulierbar. Wir sorgen dafür, dass Ihnen das Liebesleben sehr bald zum Hals heraushängen wird, auf dass die fröhliche Fortpflanzung ein Ende habe und eines Tages eine weitaus dünner gesäte Generation unter unserer weisen, eigennützigen Führung die angesammelten Reichtümer der Menschheit genießen möge.

Falls Sie dies unbegreiflich finden, überlegen Sie sich, dass in einigen bedeutungsschwangeren Ländern meist diejenigen geehrt werden, die man am wenigsten begreift. Wer also unverständlich faselt, dem hört man zu. Der wird gefeiert. Den hebt man aufs Podest. Denn man vermutet, dass sich hinter dem Unbegreiflichen noch sehr viel unwissbar Wertvolles verbirgt. Das haben wir von Immanuel Kant, dem alten Transzendentalphilosophen der Großen Unwissbarkeit.

Wir sind die Verschwörung hinter den Verschwörungen. Wir wissen nicht, ob es uns gibt, aber wir glauben quasi daran, und wir handeln so als ob. Wir ahnen, dass es uns gibt, und wir gehorchen den Weisungen, deren Existenz wir erahnen. Jeder von uns weiß nur so viel, wie er wissen muss; der Rest bleibt seiner Intuition überlassen. Wenn diese versagt, wird ein bisschen nachgeholfen, ganz zart bloß, aber unmissverständlich. Wir sind so, wie wir sind, und wie wir sind, ja so sind wir. Wir sind das Unsichtbare Imperium. Wir flackern durch Ihre Phantasie. Sie werden niemals sicher sein, ob es uns gibt; denn wir wissen es selbst nicht so genau.

Vielleicht sind wir nur eine Ausgeburt Ihres verzweifelten Fiebertraums in einer spirituell und materiell verunsicherten Welt. Vielleicht gibt es uns nur insoweit, als Sie uns vermuten. Vielleicht sollten Sie aufhören, so viel zu vermuten. Sie wollen das alles gar nicht wissen. Sie würden mit diesem Wissen gar nicht klarkommen; so lautet unser übliches Argument. Nachdem diese Dinge aber gesagt wurden, sind sie gesagt; und irgendwo in den Herbstnebeln Ihres ermüdeten Verstandes, irgendwo hinter den Schleiern Ihrer transusigsten Verdrängungen, irgendwo im Bewusstseins-Nirwana der ferngesteuerten Schafsköpfe und doch auf  festen Planken des Höllenbodens ist unsere Existenz gesichert, denn sobald Sie uns mutmaßen, saugen wir aus der Kraft Ihrer Spekulationen weiteren Lebenssaft für unsere blutarme Existenz. Wir sind die modernen Vampire, und über Knoblauch können wir nur lachen. Wir sind das säuische Element im sauberen Anzug. Sobald Sie in unsere Richtung schielen, verdeckt uns die schattige braune Kapuze. Wir lassen uns nicht wegdenken, denn wir füttern beständig den Verdacht, auf dass er nicht erlahme, denn davon leben wir; aber wir lassen ihn nicht hinreichend erstarken, um uns zu schaden.

So blödeln wir vor uns hin. – Und jetzt lassen Sie sich gefälligst den Genuss Ihres Hamburgers nicht verderben.“

 

(Der Finder dieser empörenden Selbstbezichtigung wurde vom Weltverband der Verschwörungspsychopathen in Craptown, Ill., mit der Unbeweisbarkeitsmedaille 2004 ausgezeichnet und lebt seitdem in Gesellschaft zweier Kampfhunde relativ zurückgezogen auf der Insel Niue.)

 

– Eckehard Junge, 1. September 2005

 

Copyright © 2005 Eckehard Junge

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Bildnachweis:

http://www.photolib.noaa.gov/library/libr0068.htm

libr0068, Treasures of the NOAA Library Collection

(NOAA = National Oceanic & Atmospheric Administration)
Image of "the great Belly'ed Gnat or female Gnat."

In: "Micrographia, or, Some physiological descriptions of minute

bodies made by magnifying glasses....", by Robert Hooke. 1667.

Photographer: Archival Photograph by Mr. Sean Linehan, NOS, NGS

 

 

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